Freitag, Juli 28, 2006

Linkage


Sevgili arkadaşlar, dear friends abroad!

This post is intended to be the last one of "Wiggerl crosses the Bridge". At the same time it's a linkage between my presence in Istanbul and Turkey and my presence back home in Germany.

Well, I just want to note that I'm very glad to be back home again, to see the family, the friends etc. The only two things that make me feel unhappy is, that despite the fact that I can always return to Istanbul and Turkey another day, it will never be the same as it was - since the particularity of these ten months was mainly due to the friends I met and spent time with there.
Anyway, as I said this post is intended to be a linkage. First it's a linkage to the past: In order to tell you that I put a 'potpouri' of pictures I took on my two weeks trip throughout Turkey. (Now that I'm back again in Germany the upload for my huge photos doesn't take so long time any more as it was the problem in der dorm in Istanbul!)
And second, I'm proud to inform you about my new webblog I created today. Since Wiggerl finally has crossed the Bridge, he arrived in another world and changed fundamentally. If you want to learn more about that and about what happens to him in (more or less everyday) life, please look out for "Lütfü crossed the Bridge" at http://havingcrossed.blogspot.com

Best wishes to everybody
Ludwig "Lütfü" Paşa

Montag, Juli 17, 2006

Anadolu, İstanbul und die Merkel'sche Post-WM-Republik


Wahrlich, für den Schlusspunkt muss ich mich selbst loben! Die letzte Etappe meiner Anatolienreise endete gestern nicht einfach in İstanbul, sondern sie endete in İstanbul um halb sechs Uhr mit dem über dem Bosporus hereinbrechenden Morgensonnenlicht, das die noch müden Augen der Menschen blinzeln und die Goldknöpfe der Moscheen, Paläste und Türme in gewohnt beeindruckender Manier blitzen ließ. Harika!
Doch von diesem kurzen Moment des erregten Herzklopfens ging gestern blutdruckmäßig nicht mehr viel. Ich fuhr nur noch zurück ins Dorm, öffnete alles was es zu öffnen gab, dann ab in die Heia und eine verlängerte Runde schlafen: Nur ein Löwe, der jagt, wird auch müde, heißt ein arabisches Sprichwort. Und knapp 800 Fotos zeugen von meiner Beute…

Es ist eine Herausforderung, knapp und kurzweilig zu berichten, was und wie Georg und ich unsere Reise erlebt haben. Allein wird es dem Leser schon Probleme bereiten die Orte, die wir sehen wollten, zu kennen, denn Van und Doğubayazid, Tatvan, Batman und Hasankeyf, Midyat und Mardin (s. Bild), Urfa und Diyarbakir, Malatya, Divriği und Sivas, Amasya, İnebolu und Kasaba sind nun wirklich nicht die Hauptreiseziele des Ottonormal-Touristen. Doch, hört, hört, immer wieder mussten wir in dieser letzten Ecke Anatoliens, 1000 km weg von Istanbul und der vermeintlichen Zivilisation hören, dass „dieses Jahr die Deutschen nicht kommen – nur wegen der Fußball-WM“. Für gewöhnlich lassen Schliehmanns Erben also sonst grüßen, dieses Jahr jedenfalls schickten sie uns als hoffentlich würdevolle Vertreter.

Was wir entdeckten, waren Stätten (und offensichtlich auch Greise) biblischen Alters, von Zivilisationen erbaut und anderen Zivilisation zerstört; was wir sahen, waren die kahlen, harmonischen Berge Kurdistans, die iranische Hochebene und das syrische Tiefplateau, die Täler von Euphrat und Tigris sowie (ich als in der zweiten Reisewoche Alleinreisender) die Getreide- und Reisanbaugebiete von Sivas und Amasya, die tiefgrünen Berge und Täler des Nordens und einen Teil der langen, windigen und hochromantischen Schwarzmeerküste. Was wir schmeckten, waren die Fleischvarianten des Südostens, Fisch aus dem Tigris, selbstgemachtes Fladenbrot von Sinans Mutter in Tatvan, das zähe Eis nach Karamanmaraşer Art, die Weltexporthits: Aprikosen aus Malatya und Wassermelonen aus Adana, sowie die unbezahlbare Schwarzmeer-Delikatesse „eine große Schüssel frische Walderdbeeren“. Was wir fühlten, das war ostanatolischer Sommerregen wie auch mittelöstliche Sommerhitze; das waren die einzigartigen Wasserqualitäten von Vansee, Tigris und Schwarzmeer; das waren aber vor allem die Wärme und Gastfreundschaft von Kurden, Türken, Arabern, Zentral- und Nordanatolen und ihren heute vermischten, ab- und rückgewanderten Abkömmlingen:
„Was Du kommst aus Bayern? Hab ich doch in Alanya elf Jahre ein Restaurant gehabt, die Bayern waren mir immer die liebsten Gäste… Willst Du ein paar Vorspeisen? Dann lass ich Dir gleich den ganzen Wagen herfahren, nimm Dir soviel Du willst!“, meinte İlahattin, Restaurantbesitzer in İnebolu.
„Unser Hotel ist zwar voll, aber für Euch räumen wir ein Esszimmer aus und richten es als Schlafraum ein. Morgen könnt Ihr ja dann umziehen!“, hieß es im Cevahir Hotel in Urfa (und das Esszimmer sah super aus!).
Erkan aus Diyarbakir sagte: „Wenn Dir irgendwas fehlt, ruf mich an. Egal ob Dir hier oder irgendwo sonst im Südosten was passiert, ruf mich an!“
Und Sinans Vater, Seyithan Amca ließ keine Diskussion aufkommen: „Für heute und morgen seid ihr Gäste in meinem Haus und bei meiner Familie.“ Und als Georg und ich tagsdrauf ausgeschlafen und gesättigt Abschied nahmen, meinte er, es wäre für ihn so gewesen, als wenn seine zwei Ältesten, Sinan und Mimar, hier gewesen wären…

Die Anatolien-Reise ging zu Ende. Die Route machte ein umgekehrtes S, ein Fragezeichen also, über eine türkische Landkarte. Vieles bleibt mir immer noch fremd. Doch ich glaube den ein oder anderen Schlüssel zum Verständnis dieses Volkes entdeckt zu haben. Ich wage nach diesem Studienjahr zu behaupten, dass die oft diagnostizierte Zerrissenheit der türkischen Gesellschaft in der Radikalität seiner jüngeren Vergangenheit begründet liegt: der radikale top-down-Reformismus Mustafa Kemals und der radikale Atatürkismus der nachfolgenden Eliten in Staatsdienst und Militär; die Zerwürfnisse, die linke und rechte, radikal-religiöse und radikal-laizistische Ideologien dieser Gesellschaft beigefügt haben; die öffentlich konstruierten Bedrohungsperzeptionen, die die Türken glauben ließ und bis heute glauben lässt, dass der Türke nur einen Freund auf dieser Welt hat: den Türken selbst - eine Verschwörungstheorie, die radikal mit der türkischen Gastfreundschaft bricht.
Während ich diese Thesen vornehmlich aus der an der Uni gelesenen Literatur entnommen und in der Realität zumindest partiell und jenseits des doch sonst so normalen Alltags bestätigt wahrnehmen konnte, brachte mir meine Reisen noch eine weitere Erkenntnis:
Ich glaube, dass diese Gesellschaft, anders als die gemeine europäische bis heute ihrer nomadischen Wurzeln nicht entwachsen ist. İstanbul ist eine Ansammlung von Migranten, nicht wie New York oder London mit Migranten aus allen Teilen der Welt, sondern aus allen Teilen der Türkei. İstanbul ist das Hauptzelt dieser physisch zwar niedergelassenen Nomaden, deren tiefere, seelische Wurzeln immer noch in ihren Dörfer und Städte in allen Teilen Anatoliens (oder gar auf dem Balkan, im Nahen Osten, Kaukasus oder in Zentralasien) liegen. Ich habe gesehen wie reich und vielfältig dieses Anatolien ist – im Essen und in der Musik genauso wie in der Sprache und im Verhalten der Menschen. Trotz aller Probleme, die dieses Land hat, seien sie politisch-militärisch, wirtschaftlich, sozial oder menschenrechtlich, trotz aller Schwierigkeiten, die die Menschen mit- und untereinander und mit der Last ihrer radikalen Vergangenheit haben, empfinde ich die mir bewusst gewordene Vielfalt dieser anatolischen Kulturen als ein höchst faszinierendes Phänomen, das näher entdeckt und dessen Potenzial noch viel mehr ausgeschöpft werden kann. Dieses Potenzial nennt sich „Einheit in Vielfalt“ und es soll, für viele Europäer immer noch unbewusst, auch das Potenzial ihrer gemeinsamen Entwicklung und Zukunft sein. „Einheit in Vielfalt“ ist bekannt als das Idealziel europäischer Einigung, das Kernelement des kosmopolitischen Europas. Ich sehe die Türkei als Mittel zum Zweck, dieses uns verbindende und gemeinsame Ziel verfolgen zu können.

Nach zehn Monaten und dieser intensiven zweiwöchigen Reise freue mich auf Deutschland, wenn es mir auch total unbekannt vorkommen wird, dieses Land von Angela Merkel und WM 2006. Ich freue mich auf Euch, die Freunde, und auf das baldige Wiedersehen. Und selbstverständlich ist die Freude auf meine Familie grenzenlos.
Ich danke meinen Lesern und Blogbesuchern, ihnen sei gesagt, dass ich weiter schreiben werde für die neu gewonnenen Freunde und Bekannte in Türkiye und abroad (ergo auf Türkisch oder auf Englisch). Es dankt herzlichst und verabschiedet sich mit einem lachenden und einem weinenden Auge aus İstanbul

Ludwig Paşa

Montag, Juni 26, 2006

Doppelpacken


Merhaba, selam alaykum, rozbaş - die wichtigen Wörter der nächsten Wochen, "Servus" für die Völker Anatoliens.

Habe gestern angefangen meine Koffer zu packen. Ein doppeltes Packen - nicht nur für meine nun beginnenden Reisen zu Türken, Arabern, Kurden, (Rest-)Armeniern etcetera pp., sondern auch weil das Bilgi Wohnheim weitgehend geräumt wird für hier bald akkommodierenden StudentInnen der Bilgi Summer School. Was für andere also ein Desaster ist, weil sie nun nicht wissen wohin mit ihren Home-Cinema-Anlagen, illegal-DVD-Sammlungen und - freilich - Studienbüchern, ist für mich zwar eine organisatorische Herausforderung angesichts der tatsächlich siebenhundertsiebenundsiebzig Sachen, aber im Verhältnis dann doch ein überschaubares Unterfangen. Und trotzdem: noch einmal Wäsche waschen, Reisetaschen mit Krimskrams füllen, Unnötiges entsorgen - mal wieder unglaublich, was sich alles ansammelt in nur einem Jahr... Jedenfalls werden zwei Taschen gepackt: die eine mit den nicht-Kurdistan geeigneten Dingen, die andere mich für den Trip ausstaffierend angelegt. Öff! (türk. Ausdruck der Erschöpfung)

Kurdistan? - Ja, richtig gelesen. Um genau zu sein: morgen nachts kommt Georg aus München, und am Morgen des 29. Juni geht unser Pegasus Flug mit Zwischenstopp Ankara nach Van. Von dort aus reisen wir zusammen eine knappe Woche durchs Land der Kurden (oder offiziell "Südostanatolien", damit sich die Araber, Türken, Armenier etcetera pp. nicht diskriminiert fühlen) mit Unterbrechungen in Doğubayazid und Akdamar, Batman und Hasankeyf, Mardin und Midyat, Şanlıurfa und Diyarbarkir für a) Sightseeing, um b) die angeblich beste Küche der Türkei zu genießen und das alles c) ohne ein Spiel der deutschen Elf auszulassen. (Jut macht ihr dat, Jungs!) Am Abend des 7. Juli gehts für Georg wieder heim und ich werde mich langsam von Stadt zu Stadt und Freund zu Freund Richtung Westen tingeln - Public Relation quasi. Denn wenn die Türkei schon nicht nach Deutschland durfte, dann kommt Deutschland eben in die Türkei. Der Freund zu Gast in der Welt.

Um jedoch keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen: dem Reiseziel liegt weniger die Intention zu Grunde, Urlaub zu machen, als denn Feldstudien zu betreiben: Welchen Blick hatte denn der Işak Paşa als er von seinem Palast in Doğubayazid hinüber nach Persien sah? Hört dort Europa auf oder kann der noch immer unterentwickelte Geist des kosmopolitischen Europas bis dorthin getragen werden? Oder haben ihn die türkischen und kurdischen Migranten, vor Jahrzehnten nach Westeuropa kommend und seither zwischen den Welten, auf der Brücke des transnational space lebend, nicht gar dort entwickelt - diesen Gedanken, dass die Andersheit des Anderen einfach zu akzeptieren ist um aus der Vielfalt der Differenzen das Höchstmaß an Potenzial gewinnen zu können? Ich werde kommen, sehen und berichten...

Andererseits möchte ich jedoch auch jegliche Bedenken aus dem Weg räumen, dass nach all der getanen Arbeit (wie im letzten Semester in allen Kursen mit A geglänzt!) mein Urlaubsbedüftnis keine Befriedigung gefunden hat. Nein, letzte Woche gings für ein paar Tage nach Bodrum zu Naomi und Mert (Misafirperverliğinizi için çok teşekkür ederim, arkadaşlar!), anschließend mit den Griechen Antonis, Alexis und Eleni per Bus nach Dalyan, Fethiye, Ölüdeniz und Faralya, wo obiges Foto mit Elenis Paragliding-Trainern beim Après-soleil-Grillen entstand. To you as well, dear Hellenics: Efharistó!

Schluss jetzt! Morgen muss ich früh raus, die letzten Dinge erledigen, zu Ende packen, mich von Susana und Julien, Aycın und Mark sowie einigen anderen verabschieden und gen Abend zum Flughafen fahren um "den Ağabey" willkommen zu heißen. Rückkehr nach Istanbul geplant für etwa den 15. Juli; bis dahin wird der Blog wohl schweigen. Doch das Ende ist noch nicht erreicht.

Saygılarımlar
Ludwig Paşa

"Wir sollten unsere Lebensfrist angesichts ihrer Kürze eigentlich nur für solche Dinge verwenden, von denen wir für morgen ein glückliches Jenseits und eine Stätte seliger Heimkehr erhoffen dürfen."
Ibn Hazm al-Andalûzi (993 - 1064)

Donnerstag, Juni 01, 2006

Juni

Seit knapp zwei Stunden ist Juni 2006. Für mich heißt das: noch 49 Tage Türkei. Für den großen Rest der Welt dagegen wohl: Football World Championship in Germany. Was besser ist, vermag der Leser für sich zu entscheiden - ich für meinen Teil bin glücklich weder mitsehen noch mithören noch mitkommentieren zu müssen, woran's nun lag, dass... Aber egal, wichtiger ist, dass alles gut läuft, es keine unschönen Zwischenfälle gibt und am deutschen Wesen die Welt genesen soll. İnşallah - dafür bete ich, und dafür, dass meine Nase zu laufen aufhört, die dank überall brummender Klimaanlagen Nebenresultat des nun schon zwei Wochen anhaltenden Sommerwetters ist.
Glückliche Genießer dieses Wetters waren ja bereits schon die Jungwissenschaftler vor knapp drei Wochen, und ihnen gleich tat es vergangenes Wochenende teyze Maxi und enişte Hermann, nach einer langen Phase glücklicher Sesshaftigkeit im schönen Lippertshofen endlich wieder in der Weltgeschichte herumreisend. So wurden beide freudigst "Hoş geldin!" geheißen und ebendiese Freude wurde gefunden: in der Hagia Sofia und Sultanahmet, in der İstiklâl Caddesi und Beyoğlu, in den Fischlokalen Ortaköys und Kumkapıs, unter den Kuppeln der Bazaare und selbstverständlich auf den Stadtterrassen mit Bosporus- und Metropolenblick.
Liebe Maxi, lieber Hermann, es waren rakıseelig-lustige, unvergessliche Tage mit Euch, für die ich Euch von Herzen danke!

Abgesehen von diesem Besuch ereigneten sich noch zwei weitere, erwähnenswerte Dinge in dieser Maihälfte: am 19. Mai feierte die Türkei den 87. Jahrestag der Ankunft Mustafa Kemal Atatürks und seiner Gefolgsleute in Samsun - der offizielle Beginn des türkischen Unabhängigkeits- oder Befreiungskrieges, später dann der Jugend und dem Sport gewidmet und daher mit viel Pomp und Circumstance gefeiert. So wurden meine jüngfräulich westdeutsch-demokratischen Augen und Ohren im Beşiktaş-Stadion einem Spektakel mit vielen rot-weißen Fahnen, Fähnlein und Menschenbildern, "Wie-froh-ein-Türke-zu-sein"-Spruchbändern und "Atatürk-wir-folgen-Dir"-Slogans gewahr. Um ehrlich zu sein, ja, ich war geschockt, fühlte ich mich erinnert an Bilder vielleicht aus Moskau in den 1960ern oder Berlin in den 1930ern. Ich fragte mich ob die Fratze der Demagogie und des Populismus' je ihr fieses Lächeln verliert? Und schafft es die EU, den manipulierten Türkinnen und Türken die seit Sèvres 1920 aufoktroyierte Angst vor dem "inneren" und dem "äußeren Feind" zu nehmen, indem sie den selbsternannten Wahrern des kemalistischen Vermächtnisses das Monopol über die Sicherung der republikanischen Souveränität entreist durch das Instrument der demokratischen Stabilisierung genannt Erweiterung?
Dass Hilfe nötig ist, wurde mir auch gestern erneut bewusst als ich an einer elfstündigen Tour in den Istanbuler Osten teilnahm. Mit Orhan Esen, Wirtschafts- und Sozialhistoriker und Urbanisierungsforscher (http://www.perlentaucher.de/buch/21262.html) ging es auf illegalen Highways in die asiatische Peripherie der Stadt, in die Gecekondus der ersten, zweiten und dritten Generation an Immigranten und kriminellen Landmafiosi (oder sog. "informellen Entwicklern"); in gated communities, d. h. hoch ummauerte Einfamilien-(Alb)Traumhaus-Siedlungen für hunderte und tausende von Menschen, die zu Hauf am östlichen Stadtrand entstehen und eine ideale Welt mit Swimmingpool, Grünflächen und Freizeitanlagen vorgaukeln, während außerhalb der Mauern der Moloch seine Opfer frisst. Und vom Altındağı-Hügel erblickte man nicht nur die neue Formel1-Strecke im eigentlich dem Naturschutz zuzuschreibenden Gebiet, sondern auch die überlebenswichtigen Wasserspeicher der Stadt, deren Sauberkeit und Natürlichkeit unter der fortschreitenden Ausbreitung der Siedlungs- und Industriefläche zu leiden haben. Und es schien, als würde der Sommerwind die leisen Hilferufe der Stadt heranwehen, die der Verkehrslärm im Zentrum sonst immer erstickt...

Istanbul - nach achteinhalb Monaten heißt's langsam Abschied nehmen. Noch nicht Abschied Richtung Fussballweltmeisterschaftsausträger 2006, sondern erstmal in die Gegenrichtung. Die Vorlesungszeit geht zu Ende und nach den kommenden Final exams plane ich ein paar Wochen Herumreisen in Anatolien. Genaue Etappenziele, Dauer und Mitreisende sind noch weitgehend unbekannt, aber die Konzeptionsphase läuft bereits. Die Rückkehr nach Istanbul ist geplant für Mitte Juli und nach ein paar Tagen des Abscheidens werde ich am 19. Juli meine (eher siebenundsiebzig denn) sieben Sachen packen. Bis dahin werde ich mich aber sicherlich noch einige Male an diesem Ort melden, lade den geneigten Leser also herzlich ein, meiner Seite die Treue und Neugier zu halten und verbleibe mit den besten Grüßen

Ludwig Paşa

Dienstag, Mai 16, 2006

Sonderbericht des Orientinstituts İstanbul


Seminarreise dreier Forschungsreisender aus dem süddeutschen Raume nach İstanbul

Am Donnerstag, den 11. Mai 2006 hieß das Orientinstitut İstanbul die drei Jungwissenschaftler Dipl. hist. Georg Schulz für interkulturelle Geschichts- und Kommunikationsstudien, Dipl. phys. Thomas Kaindl für geophysikalische und energetische Experimentation und PD Stephan Schmatz für sicherheitspolitische Analyseforschung und Gender Studies in seinen İstanbuler Forschungszentren Willkommen. Vor allem das Einholen von Information über unbekannte Forschungsbedingungen, die Präsentation neuer Forschungsergebnisse sowie Feldstudien im Bereich des interkulturellen Austausches standen auf dem Programm der Reisenden. Die Wissenschaftler absolvierten dabei nicht nur mit großem Interesse und Wissensdrang das vielseitige viertägige Programm, sondern trugen daneben auch mit der Weitergabe eigener Erfahrungen an das hiesige Publikum für die grenzüberschreitende und kulturübergreifende Ausbreitung des universalen wissenschaftlichen Geistes bei.

Nach dem Erfrischungs-Çay im Instituts-eigenen Çaybahçesi in Cihangir ging es zu einem ersten Meeting mit türkischen Jungforschern in das Forschungszentrum Tophane/ Karaköy, worauf ein abendlicher Willkommens-Empfang der Institutsleitung in Beyoğlus Çiçek Pasajı folgte. Die weiteren Tage gestalteten sich wie folgt: Freitags besuchte die Gruppe das geschichtswissenschaftliche Seminar im alten Stamboul, wo insbesondere Dipl. hist. Georg Schulz neueste geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse über die römischen und osmanischen Monumente rund um das ehemalige Hippodrom vorgestellen konnte. Dem Freitag folgte das Übersetzen per Fähre nach Kadıköy am Samstag, sowie eine Dolmuş-Fahrt von dort nach Nişantaşı - Programmpunkte, die v. a. aus der Pespektive metropol-urbaner Verkehrssicherheit von besonderer Bedeutung sind und wofür PD Stephan Schmatz mit seiner Expertise umfassend Einblick in die Materie geben konnte. Ebenso stand PD Schmatz auch für Fragen der Gender Forschung zur Verfügung, zumal dies im interkulturellen west-östlichen Zusammenhang nicht nur große Aufmerksamkeit verdiente, sondern auch auf gesteigertes Interesse von Seiten des Publikums stieß. Der Sonntag stand dagegen ganz im Zeichen geophysikalischer Forschung, was angesichts der spektakulären Kontinentalkollision des Bosphorus' selbstverständlich auch nicht verwunderte. Dipl. phys. Thomas Kaindl konnte auf der angesetzten Schifffahrt nach Anadolu kavağı dabei mit interessanten Informationen aus seinem reichen Fundus geophyikalischer und energetischer Zusammenhänge und Gegebenheiten sowohl das Laien- wie auch das Fachpublikum in Staunen versetzen.
Selbstverständlich benötigte diese reich gefüllte Seminaragenda auch ihre Verschnaufpausen. So wurde ein Rahmenprogramm konzipiert, bestehend aus weiteren Empfänge in trauter Runde, ungezwungenen Gespräche am Kaminfeuer und ein ereignis- und abwechslungsreiches Soiréeprogramm, das es ermöglichen sollte, die neu gewonnenen Einblicke zu vertiefen und in gemütlicher Atmosphäre verabeiten zu können. Ebenso war auch der freie Montag, der von der Seminargruppe vor allem für Besuche auf dem Kapalı Çarşı, dem großen Bazaar genutzt wurde, als Erholungstag geplant worden.

Das Orientistitut hofft, den Wünschen seiner Gäste gerechet geworden zu sein. Es freute sich außerordentlich dem in İstanbul versammelten wissenschaftlichen Nachwuchs sowohl aus Deutschland wie auch aus anderen Teilen der Welt, sei es aus dem Gastland Türkei, aus den Vereinigten Staaten, Iran oder Kolumbien eine Platform für Kontakt, Austausch und Kennenlernen geboten zu haben und hofft, dass hieraus fruchtbare transnationale Kooperation entstehen mag. Das Institut dankt seinen Gästen für ihr Kommen, versichert, dass seine Tore immer offen stehen werden und freut sich, hiermit die Einladung für einen Gegenbesuch im Juli annehmen zu dürfen.

i. A. der Institutsleitung
Ludwig Paşa

Freitag, Mai 05, 2006

Wechselhaft

Wechselhaft ist das Wort der Wochen, denn es trifft derzeit nämlich auf recht viel zu. Am wenigsten überraschend vielleicht: das Wetter - schlicht weg aprilig, einen Tag warm und sonnig, dann wieder kalt und regnerisch. Wenn man sich allerdings ein paar der über drei Millionen blühenden Tulpen ansieht, die das hiesige Gartenbauamt über İstanbul verstreut hat, so ermöglicht dies zumindest den kommenden, wieder gehenden, wieder kommenden Frühling erfühlen bzw. erhoffen zu können. Doch auch die Freude über allerlei von unten Sprießendes schafft es nur bedingt, die angestrengten Nerven über das von oben Kommende zu entspannen. Zwar nahm so manch feuchte Luft meiner leicht Schwarzmeersonnen-verbrannten Haut sowohl Röte wie auch Hitze, fuhr andererseits jedoch meinen Urlaubsplanungen für den Spring Break kräftig zuwider: statt wie üblich zentralanatolischen Sonnenschein vorauszusagen, hieß es für den von mir geplanten Reisezeitraum "Kappadokien - Schauer, zehn Grad" (ebenso wie im restlichen Anadolu). Hätte sich vielleicht eine Gruppe versammelt gehabt, die den Trip zu den Steindomen, Felsformationen und frühchristlichen Eremitenkirchen geplant und durchorganisiert hätte, wäre es vielleicht sogar trotz des Wetters zu der Reise gekommen. Aber auch diesbezüglich wechselte ständig die Schar begeisterungsreicher, aber finanz- oder zeitarmer Interessenten. Immerhin gings mit Nesrin auf einen Tagesausflug nach Edirne - eine nette Fahrt nach Thrakien an die bulgarische Grenze, wo die Moscheen schön und alt und die Atmosphäre ein wenig südbalkanisch scheint. Und Kappadokien: dorthin gehts nun Mitte Mai, wenn sich 6000 Studenten aus dem In- und Ausland auf Einladung und Kosten des türkischen Kultusministeriums dort begegnen sollen... Man darf schon mal gespannt sein auf das Setting und die organisatorischen Großleistungen, die es zu erbringen gelten wird!
Der Ausflug nach Edirne markierte gleichzeitig den Beginn des Besuchertanzes in den İstanbuler Mai: nach den Eltern, die vergangenes Wochenende noch einmal nach dem Rechten sahen, folgen nun Mitte Mai der Besuch von Georg, Stephan und Tom (das "Kulturprogramm" steht bereits, Jungs), und nach der Kappadokienreise werden Teyze Maxi und Enişte Hermann willkommen geheißen. Die İstanbuler Klinke wechselt kräftig die Hände.

All das wird es mir i. Ü. ein wenig schwer machen, den Blog ähnlich aktuell zu halten, wie es der geneigte Leser vielleicht gewohnt war. Zugegeben, nicht nur der Blog wird unter dem umfangreichen Programm zu leiden haben, sondern auch ein wenig die Uni-Attendance (nicht aber die dort zu erbringenden Leistungen, denn hierfür habe ich a) vorausarbeitet oder b) bereits schon die für effizient befundenden Schafsdöner ins Trockene bzw. ins Brot gebracht. Ganz im Sinne des arabischen Sinnspruchs "Wer mit Bedacht handelt, erreicht , was er erstrebt.")

Zwar wird nun mancher denken, dass mein Programm ziemlich voll ist - und, ja, es stimmt ja auch, es ist voll. Nach dem Besucherreigen heißt's lernen für die Final exams, Klausuren und schreiben der Research Papers. Dann beginnt die vierwöchige Reisezeit, die sicherlich wieder zahlreiche neue Erlebnisse, Eindrücke und Gigabytes an Fotomaterial bringen wird bevor es gegen Mitte Juli zurück nach İstanbul und am 19. Juli zurüück nach Alemanya gehen wird. Ja, ich sehe das Ende kommen (auch wenn die Reisewochen selbst noch im Nebel des Ungewissens liegen) - ein Aspekt, der auch meine Stimmung recht wechselhaft macht. Mal freut's mich, was (und jetzt natürlich auch wer) noch alles kommt - mal seh ich das Ende langsam kommen und das stimmt schon seltsam, wenn nicht gar bald traurig...
Doch birgt nicht gar das Ende erst das wichtige Potenzial genannt Zeit? Zeit zum Nach-Denken, Nach-Erzählen, Nach-Träumen nach dem Aufwachen...

"Wenn Du Dein ganzes Leben lang einsammelst, wann willst Du das Gesammelte genießen?" (Tausendundeine Nacht)

Ludwig Paşa

Sonntag, April 23, 2006

Paskalya


Es ging einem schön ein wenig ab diese Jahr - das alljährliche "Froche und gesägnete Ostärn" von Johannes Paul II. Stattdessen also erstmalig für die katholische Weltchristenheit eine bayerische Grußformel von Benedikt XVI. - und für mich Paskalya in und um İstanbul. So stammt das obige Foto vom Schwarzmeerstrand in Kilyos, knappe eineinhalb Stunden nördlich vom europäischen İstanbul. Gemacht hat es Naomi, die am gleichen Tag Geburtstag hatte und zu dessen Feier vorgeschlagen hatte, nach Kilyos zum Picknicken zu fahren. Auf der Fotoseite sind nun die dazugehörigen Bilder von Naomi und Müge, Aycin, Mark und mir zu sehen und zeigen nicht nur eine totenstille Karsamstagsstimmung, die aber wie Naomi meinte auch ein bisschen was von Fellini hatte, "denn wir feiern uns ja". Also gab's Sigara Börek und gefüllte Weinblätter von Aycin, Couscous von Müge, Çorban und Obstsalat von Naomi und von mir grobe Leberwurst von der Oberpfälzer Dosen-Sau, Essiggurken, Silberzwiebeln und Tafel-Meerrettich. Die Flasche Prosecco und der Absolut war außerdem nötig um nicht das Bedürfnis aufkommen zu lassen, auf die in der Osterwoche stattfindenden Midterm-Klausuren lernen zu müssen, und um sich vollends der strahlenden, warmen Sonne zuzuwenden, die auf den menschenarmen Strand am Karadeniz schien.
Tja, Ostern... Stand der Karsamstag atmosphärisch noch also im Zeichen der Tristesse und Melancholie durch die auf Bosporus-Einlass wartenden, unbewegten Tanker, Frachter und Kähne weit draußen sowie wegen der halbversunkenden Schiffwracks und der verlassenen, verrosteten Badeanlage von Kilyos, so gestaltete sich der Sonntag wider Erwarten fröhlich-österlich (obwohl hauptsächlich Geschichtelernen für die Montagsklausur auf dem Programm stand). Stattdessen schaffte ich es, mir um 13.30 Uhr Ortszeit meinen Ostersegen live auf RAI Uno abzuholen und meinen missionarischen Pflichten gegenüber den fragenden muslimischen Stockwerksmitbewohnern nachzukommen, und wurde darüberhinaus noch zum Osterbrunch in den vierten Stock eingeladen. Dort hatten die Polinnen Rosana und Edyta, sowie die Russin Kateryna zwei tschechische Mit-Erasmen und mich eingeladen - und wer hätte gedacht, dass ich auf diesem Wege sogar noch zum Zwiebelschalen-gefärbten und vom polnischen Pfarrer in İstanbul geweihten Osterei und zur Oster-Schokolade gekommen bin. Von katholischer Universalität aber mal wieder keine Spur: Kateryna fuhr gestern zum Ferienbeginn und russisch-orthodoxen Ostern nach Sewastopol auf die Krim und auch unsere Griechen feiern ihr Ágio Pás-cha erst in diesen Tagen. Zu allem Überfluss feierten in diesen Tagen die Juden ihr Pesach und die Muslime begingen ihre heilige Woche, anlässig des 1435sten Geburtstags des Propheten Mohammed. Warum das so ist, das weiß ER nur allein. Aber "wer meint, dass das Begreifen der göttlichen Dinge auf strengen Beweisen beruhe, der hat eine zu enge Vorstellung von der Weite der Barmherzigkeit Gottes", meinte al-Ghazzali (1058 - 1111).

Mutlu paskalyalar, frohe Ostern
Ludwig Paşa